4. Fachtagung:
Neuropathischer Schmerz
bei Querschnittlähmung
Am 12.10.2024 fand im rollstuhlgerechten Seminarhotel der Manfred-Sauer-Stiftung in Lobbach, nahe Heidelberg, die vierte gemeinsame Fachtagung der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V. (FGQ) und der Manfred-Sauer-Stiftung statt. Thema war ein Aspekt der Querschnittlähmung, der für viele Betroffene eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bedeutet: neuropathische Schmerzen. Diskutiert wurden neben den Grundlagen verschiedene Coping- und Therapieansätze.
Zur Fachtagung, die für Menschen mit Querschnittlähmung, Angehörige und Akteure im Gesundheitswesen offenstand, reisten 80 Teilnehmer sowie Referenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an.
Neuropathische bzw. neurogene Schmerzen entstehen, wenn Nervengewebe durch äußere Einflüsse (Quetschung, Kompression, Durchtrennung oder Entzündung) geschädigt werden. Die Schmerzen können je nach Lokalisation ein- oder beidseitig auftreten und äußern sich z. B. einschießend, elektrisch oder brennend und können für Menschen mit Querschnittlähmung sehr quälend sein. 75 Prozent der Betroffenen erleben sie als einschränkender als die körperliche Behinderung an sich.
Dr. Gerhard Scheuch, der nach einem Unfall 2018 querschnittgelähmt ist, sagt: „Ca. vier Monate nach meinem Unfall hatte ich plötzlich einschießenden, kurzen und sehr starken Schmerzen im Leistenbereich. Diese Ereignisse wurden dann immer häufiger, bis ich schließlich praktisch ständig unter Schmerzen litt, was meine Lebensqualität enorm beeinflusst. Da die etablierten Schmerzmedikamente bei mir nur geringe Wirkung zeigten, war und ist die Suche nach einer geeigneten Therapie eine große Herausforderung.“
Wegen der Komplexität neuropathischer Schmerzen muss zur Behandlung ein multimodales Schmerzprogramm unter Einbezug von Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, physikalischen Therapeuten und Sozialdiensten auf den Betroffenen und seine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden.
Bei der Fachtagung erklärte Dr. Mechthild Burkhart, von der Werner Wicker Klinik in Bad Wildungen die Grundlagen von Schmerzen bei Querschnittlähmung und stellte die Möglichkeiten einer umfassenden Schmerztherapie vor, die derzeit an den Querschnittgelähmten-Zentren Anwendung findet. Psychologe Jörg Eisenhuth, ebenfalls von der Werner Wicker Klinik, zeigte psychologische Aspekte auf und führte die Teilnehmer durch eine aktive Sequenz, die mit großer Begeisterung aufgenommen wurde.
Vorgestellt wurden auch drei neuartige Therapieansätze.
Chronische Schmerzen scheinen von der Baroreflex-Therapie positiv beeinflusst werden zu können, erklärte Eisenhuth. Die Barorezeptoren in der Wand der Blutgefäße senden unter gewissen Umständen weniger oder keine Signale an das Stammhirn, wodurch die Regulation sowohl des Blutdrucks als auch des Schmerzes unterbleibt. Bestimmt wird dies durch die Baroreflex Sensitivität (BRS). Bei vielen chronischen Schmerzpatienten zeigt sich eine verminderte BRS und zusätzlich eine Störung der Beziehung von Blutdruck und Schmerz. Durch gezielte Elektrostimulation sollen die Barorezeptoren reaktiviert uns so Schmerzhäufigkeit sowie -intensität erheblich verbessert werden. Im Querschnittgelähmten-Zentrum in Bad Wildungen wurden damit bereits gute Erfolge erzielt.
Dr. Andre Ljutow vom Schweizer Paraplegiker Zentrum in Nottwil sprach über die Erfolge des virtuellen Gehens, dem Virtual Walking, als Teil der Schmerztherapie bei Querschnittlähmung, bei der Betroffene sich selbst auf einem Großbildschirm gehen sehen. Ihr Oberkörper wird live gefilmt und täuschend echt auf fremden Beinen in einem Video positioniert: „Bei einer plötzlich eintretenden Querschnittlähmung haben viele Betroffene keine Möglichkeit, ihre Körperwahrnehmung schnell genug auf die neue Situation einzustellen. Das Gehirn erhält widersprüchliche Informationen – die für die Augen sichtbaren Beine reagieren nicht auf Reize, aus den betroffenen Regionen kommen keine Daten, Schaltstellen in den Nervenbahnen melden ungewohnte Signale. Durch das virtuelle Gehen soll das Gehirn ausgetrickst und so langsam an die neue Situation gewöhnt werden. Unsere Arbeitshypothese ist, dass dieses visuelle Gehen die Nichtübereinstimmung der motorischen Befehle und der sensorischen Rückmeldungen zu korrigieren vermag.“
Über Cannabis als Teil der Schmerztherapie bei Querschnittlähmung sprach Anja Wasserzier, Leiterin der Schmerzambulanz am Klinikum Hohe Warte in Bayreuth: „Wir sehen Patienten, bei denen eine Behandlung mit Cannabis zu Erfolgen führen kann. Es gibt aber auch Patienten, die keine Schmerzlinderung durch den Konsum von Cannabis erfahren – oder die die Behandlung wegen den Nebenwirkungen – z. B. Müdigkeit – wieder abbrechen. Fest steht: Wunder darf man nicht erwarten. Vor allem wenn man bedenkt, dass sämtliche Studien auf eine Gabe von Cannabis zusätzlich zu bestehender Schmerzmedikation beruhen.“
Text: Tanja Conrad, Manfred Sauer Stiftung, 16.10.2024