SCHNELLE
HILFE

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Interview zum Thema Baroreflex-Therapie

Im Gespräch mit der PARAplegiker-Redaktion erläutert Prof. Dr. Kathi Thieme von der Philipps-Universität Marburg die Funktionsweise der neuartigen Baroreflex-Therapie. Sie geht auf die geplante Zusammenarbeit mit der Werner Wicker Klinik in Bad Wildungen ein und gibt einen Ausblick auf den möglichen zukünftigen Einsatz. Dr. Gerhard Scheuch wiederum hat als einer der ersten Menschen mit einer Querschnittlähmung die Baroreflex-Therapie mitgemacht und berichtet wie diese seinen Schmerz beeinflusst hat.

Wie haben sich die neuropathischen Schmerzen bei Ihnen geäußert?

Dr. Gerhard Scheuch: Nach meinem Unfall im Juni 2018 hatte ich zunächst, nachdem meine vielen Rippenbrüche abgeheilt waren, gar keine Schmerzen. Drei bis vier Monate nach meinem Unfall begann es mit einschießenden, kurzen und sehr starken Schmerzen im Leistenbereich. Diese Ereignisse wurden dann immer häufiger bis dies praktisch ein Dauerschmerz wurde. Die Schmerzen wurden zunächst medikamentös behandelt, aber die etablierten Schmerzmedikamente hatten bei mir nur geringe Wirkung.

Bitte erläutern Sie kurz die Baroreflex-Therapie.

Prof. Dr. Kati Thieme: Die Barorezeptoren in der Wand der Blutgefäße registrieren dort fortlaufend den Blutdruck und reagieren auf Änderungen. Deren Aktivität vermindert sich, wenn der Blutdruck konstant erhöht ist. Daher senden sie weniger oder keine Signale an das Stammhirn, wodurch die Regulation des Blutdrucks und Schmerzes unterbleibt. Bestimmt wird dies durch die Baroreflex Sensitivität (BRS). Bei vielen chronischen Schmerzpatienten zeigt sich eine verminderte BRS und zusätzlich eine Störung der Beziehung von Blutdruck und Schmerz. Mit der Baroreflex-Therapie streben wir die Reaktivierung der Barorezeptoren an.

Wie wurden Sie auf die Baroreflex-Therapie aufmerksam?

GS: Im August 2019 bin ich zum ersten Mal mit Frau Prof. Thieme in Kontakt gekommen. Durch einen Zufall, nachdem mir ein Bekannter die Empfehlung gegeben hatte, dass sie sich mit chronischen Schmerzen auskennt und bereits erfolgreich Fibromyalgie und Migräne Betroffene behandelt hatte. Es wurde festgestellt, dass der Baroreflex bei mit praktisch nicht mehr vorhanden war, nicht mehr messbar war. Durch die Elektrostimulation wird der Baroreflex wieder angeregt. Dieser Reflex kann dann verschieden Körperfunktionen, insbesondere den Schmerz, aber auch den Blutdruck steuern. Bei vielen Schmerzpatienten, zum Beispiel bei Fibromyalgie und Migräne hat die Therapie einen dauerhaften Effekt.

Was sind Ihre Hoffnungen in Hinblick auf die Behandlung von neuropathischen Schmerzen bei Menschen mit einer Querschnittlähmung?

KT: Die ersten Ergebnisse stimmen uns sehr positiv. Neben der Beeinflussung des Schmerzes haben wir gesehen, dass sich mit dem Barorezeptortraining auch der Blutdruck regulieren lässt. Weiterhin gibt es Hinweise auf positive Auswirkungen auf bestehende Schlafstörungen, indem die veränderte Tiefschlafphase reguliert wird. Bei Herrn Scheuch haben ließ sich der Blutdruck regulieren und der Schmerz hat sich stark verbessert. Damit konnte er die Medikamente weitgehend reduzieren.

Wie hat die Baroreflex-Therapie ihren Schmerz beeinflusst?

GS: Bisher haben wir mehr als 100 Stimulationen durchgeführt. Der Baroreflex war bei mir zu Beginn nicht mehr vorhanden bzw. wahrnehmbar und hat sich auch später immer wieder abgeschaltet. Durch die Elektrostimulation wurde der Reflex wieder angeregt und hat bei mir Blutdruck und Schmerz positiv beeinflusst. Aktuell habe ich urlaubsbedingt mehrere Wochen Pause gemacht, dann nimmt der Schmerz wieder zu. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Stimulation alle ein bis zwei Wochen notwendig ist.

Welche Schmerzmedikamente haben Sie genommen?

GS: Ich nahm zu Beginn Hydromorphon (ein starkes Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide, Anm. der Red.), welches ich komplett abgesetzt habe. Weiterhin Pregabalin (ein Antiepileptikum, welches zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen eingesetzt wird, Anm. der Red.). Dieses habe ich deutlich auf derzeit 200 mg täglich reduzieren können, konnte es bisher aber noch nicht vollständig absetzen. Ich habe mehrmals Ausschleichversuche gemacht, aber dann wurden die Schmerzen schlechter.

Wie würden Sie die Schmerzen vor und nach der Therapie beschreiben?

GS: Dieser äußert sich als Brennen und Ziehen in der Leiste. Manchmal nur als Kribbeln, manchmal als heftige, einschießende Schmerzen je nach Tagesform. Die Schmerzepisoden beeinträchtigen meine Lebensqualität ganz enorm. Das Schmerzempfinden wird unter der Therapie besser. Der Schmerz ist nicht weg, aber die Heftigkeit ist nicht mehr da. Auch die Missempfindungen und Dysästhesien werden unter der Behandlung deutlich besser. Mit der Stimulation liegt der Schmerz bei mir bei einem Wert zwischen 15 und 25, ohne die Behandlung bei 50 bis 60. Im Schnitt habe ich 6 Tage die Woche Ruhe, lediglich an einem Tag habe ich stärkere Schmerzen.

Wie wird die geplante Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Werner-Wicker-Klinik in Bad Wildungen aussehen?

KT: Wir planen, dass die vier Psychotherapeuten in Bad Wildungen die Methode in ihre bestehende Therapie einbinden. Vorzugsweise würde man dies tun bevor der Schmerz auftritt, um von vorneherein sicherzustellen, dass der Baroreflex erst gar nicht dysfunktional wird. Somit könnte die Methode eines Tages bereits regelmäßig bei der Erstbehandlung eingesetzt werden und verhindern, dass es überhaupt zu neuropathischen Schmerzen kommt. Bei den bisherigen Patienten haben wir ca. 13 Wochen lang stimuliert. Nach derzeitigen Erkenntnissen gehen wir davon, dass von Zeit zu Zeit Auffrischungssitzungen notwendig sein werden.

Können Sie einen Ausblick auf eine mögliche zukünftige Therapie geben?

KT: Wir sind dabei, ein kleineres und mobiles Gerät zu entwickeln, welches eine leichtere Handhabung ermöglicht. Im nächsten Schritt hoffen wir somit, dass es irgendwann so weit sein wird, dass wir die Therapie für den Eigengebrauch anbieten können. Es wird Patienten geben, bei denen die Stimulation immer wieder durchgeführt werden muss, da die Schmerzen erneut auftreten können. Derzeit haben wir allerdings noch zu wenig Erfahrung. In Zusammenarbeit mit der Werner-Wicker-Klinik können wir dies nun richtig gut untersuchen.

Das Interview führte Kevin Schultes